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Was ist Toleranz?

Toleranz und Respekt sind zentrale Komponenten für das friedliche Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft. Diese beiden Begriffe sind auch die inhaltlichen Anker für die Ausstellung „ToleranzRäume“. Was genau sind Toleranz und Respekt? Wie sind sie miteinander verbunden und welche Rolle spielen sie für unser Leben?   

Toleranz stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Ertragen, Geduld“. Mit der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert wurde Toleranz zu einer zentralen gesellschaftlichen Idee. Damit sollte die Freiheit des Glaubens, des Gewissens, des Denkens und der Meinung garantiert werden.

Toleranz bildet in unserer Gegenwart eine Basis für das Miteinander der Vielen. Sie ermöglicht eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Überzeugungen und Lebensweisen. Mit einer toleranten Haltung können Konflikte besser reguliert werden.

Aber: Auch das Konzept von Toleranz selbst wird kontrovers diskutiert, da es unterschiedliche Vorstellungen und Ausprägungen davon gibt. Für manche bedeutet Toleranz, zum Beispiel in Verbindung mit Macht, eine Form der Unterdrückung oder eine herablassende, gleichgültige Haltung. Hier tut sich im klassischen Sinne des Wortes „Toleranz“ die Frage auf, wer befindet sich in der Position, eine andere Haltung zu tolerieren.

Der Sozialpsychologe Professor Bernd Simon definiert heute Toleranz als „durch Respekt gezähmte Ablehnung. Wenn wir andere Menschen als ‚Gleiche‘ respektieren, dann tolerieren wir sie und ihre Lebensweisen auch und gerade dann, wenn wir diese eigentlich ablehnen .“ (Simon, 2018, zitiert nach Christian-Albrechts-Universität Kiel, 2018)

Demnach fußt Toleranz auf der Anerkennung der Gleichwertigkeit eines anderen Menschen. Diese Anerkennung der Gleichwertigkeit setzt den Rahmen und die Grenzen dessen, was tolerierbar ist, damit gesellschaftliches Leben und Teilhabe gelingen können. Gleichzeit beinhaltet Toleranz eine Ablehnung von Meinungen oder Handlungen in diesem Rahmen – denn laut Simon  spricht man nur dann von Toleranz, wenn es auch ein Element der Ablehnung gibt.

Für den Philosophen Rainer Forst besteht Toleranz aus folgenden drei Komponenten: Der Ablehnung, der Akzeptanz und der Zurückweisung. Die Ablehnung von Haltungen, Einstellung, Meinungen und Handlungen die als falsch oder schlecht empfunden werden. Weiter spricht Forst von der Akzeptanz im Hinblick auf Gründe, warum wir etwas tolerieren müssen sowie von Zurückweisung verschiedener Haltungen, Meinungen und Einstellungen, die über die Grenzen der Toleranz und des demokratischen Miteinanders hinausgehen (vgl. Forst 2003).

Diese Grenzen gilt es auf der Grundlage des gemeinsamen Werts der Freiheit und des Schutzes aller immer wieder neu zu verhandeln. Damit verbundene Konflikte sowie Auseinandersetzungen sind ein unabdingbarer Teil der Toleranz und erfordern diskursive Kompetenzen wie Konfliktfähigkeit, Empathie, eine demokratische Streit- und Debattenkultur sowie die Fähigkeit, Widersprüche und Uneinigkeiten zu ertragen. Hier sprechen wir von der sog. Widerspruchstoleranz, die zuerst von Else Frenkel-Brunswik erforscht wurde, und die uns in Momenten der Unsicherheit davor bewahren soll/kann, absolute Eindeutigkeit zu erwarten bzw. einzufordern. Gleichzeitig ist es nicht egal, wem wir Toleranz und Respekt entgegenbringen. Inhumanität und Extremismus können für die offene Gesellschaft zur Bedrohung werden. Daher ist der Raum der Aushandlung in unserer Gesellschaft auf demokratische Werte begrenzt. Menschenfeindliche Positionen sind nicht Teil von Toleranz, sondern diesen gilt es, entschiedenen entgegenzutreten.

Die Ausstellung ToleranzRäume greift diese vielschichtigen Gedanken auf und betont in Anlehnung an Bernd Simon und Rainer Forst die wichtige Bedeutung von Respekt (als Anerkennung der Gleichwertigkeit) in der Ausübung von Toleranz. Als Grundlage nutzt sie – in Anlehnung an Rainer Forst – das Konzept der Respekttoleranz für das Verständnis von Toleranz.

In dieser Konzeption werden demokratische Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie Teil des Ansatzes um Toleranz und Respekt. Damit ist Toleranz nicht ein Wert an sich, sondern ein Containerbegriff für verschiedene Wertvorstellungen und die stetige Aushandlung derselben. Respekttoleranz bedeutet im Konkreten: Gleichberechtigte Personen oder Gruppen achten einander und erkennen sich wechselseitig als gleichwertig an, obwohl sie in zentralen Fragen, wie etwa zur richtigen Lebensführung, nicht einer Meinung sind. Nicht eine Autorität oder Mehrheit bestimmt, was toleriert wird und was nicht, sondern gemeinsame Institutionen (Menschenrechte, Grundgesetz, Rechtsstaat, Gewaltenteilung etc.), die auf Normen aufbauen, die allgemein akzeptiert und gerechtfertigt werden.

Damit wird Toleranz sowohl zu einer aktiven Handlung als auch einem passiven Erfahren. Ich kann somit sowohl Rezipient:in, als auch handelnde Personen der Toleranz sein. 

Diese Vorstellung der Toleranz, in der viele Meinungen diskutiert und marginalisierte Gruppen einbezogen werden, ist eine Herausforderung. Hierin liegt aber auch das größte Potential für unser Zusammenleben: Nur wenn wir unser Verhalten immer wieder hinterfragen und individuelle wie kollektive Bedürfnisse und Grenzen reflektieren, können wir uns als Gesellschaft und als Individuen stetig weiterentwickeln. Dem entgegen steht der Wunsch nach einfachen Lösungen, welche autoritäre Gesellschaftsformen, Gleichgültigkeit, Ignoranz und oberflächliche Harmonisierungen einschließen. Vereinfachungen bieten jedoch keine Lösungen für die Fragen einer komplexen und diversen Gesellschaft, die mit unseren Vorstellungen einer freien Gesellschaft und der Achtung der Menschenrechte vereinbar wären.

Die Ausstellung Toleranzräume setzt kritische Impulse zum Thema „Toleranz“. Sie inspiriert dazu, sich gegen Diskriminierung im Alltag einzusetzen und regt mit konkreten Beispielen zur individuellen und gesellschaftlichen Reflexion an. Besucher:innen werden eingeladen, sich der Grenzen der eigenen Toleranz bewusst zu werden. Dieser Prozess ist nicht immer leicht, kann aber innerhalb der ToleranzRäume inklusiv, barrierearm, offen und spielerisch erkundet werden.

Quellen:

Forst, Rainer (2003): Toleranz im Konflikt: Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs; Bd. 1682: suhrkamp taschenbuch wissenschaft; Suhrkamp – Berlin

Simon, Bernd (2018), zitiert nach Christian-Albrechts-Universität Kiel (2018): Kieler Forschungsstelle Toleranz an der Kieler Universität eröffnet.
URL: https://www.uni-kiel.de/de/universitaet/detailansicht/news/kieler-forschungsstelle-toleranz-an-der-kieler-universitaet-eroeffnet/

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What is tolerance?

Tolerance and respect are central components for peaceful coexistence in a diverse society. These two terms are also the anchors for the content of the exhibition ToleranzRäume („ToleranceSpaces“). What exactly are tolerance and respect? How are they connected to each other, and what role do they play in our lives?  

Tolerance comes from Latin and means „enduring, patience“. With the European Enlightenment of the 18th century, tolerance became a central social concept. The aim was to guarantee freedom of belief, conscience, thought and opinion.

Today, tolerance forms a basis for the coexistence of the many. It enables a confrontation between various beliefs and ways of life. With a tolerant attitude, conflicts can be better regulated.

However, the concept of tolerance itself is also the subject of controversial debate, as there are varying ideas and manifestations of it. For some, tolerance, for example in connection with power, means a form of oppression or a condescending, indifferent attitude. Here, in the classic sense of the word „tolerance“, the question arises as to who is in a position to tolerate a different attitude.

Today, the social psychologist Professor Bernd Simon defines tolerance as "rejection tamed by respect. If we respect other people as 'equals', then we tolerate them and their ways of life even and especially when we actually reject them." (Simon, 2018, quoted from Christian-Albrechts-Universität Kiel, 2018.) 

Accordingly, tolerance is based on the recognition of the equality of another person. This recognition of equality sets the framework and limits of what is tolerable so that social life and participation can succeed. At the same time, tolerance includes a rejection of opinions or actions within this framework – because, according to Simon, one speaks of tolerance only if there is also an element of rejection.

For the philosopher Rainer Forst, tolerance consists of the following three components: objection, acceptance and rejection – the objection to attitudes, attitudes, opinions and actions that are perceived as wrong or bad. Forst also speaks of acceptance with regard to reasons that make it necessary to tolerate something as well as of the rejection of various attitudes, opinions and attitudes that go beyond the limits of tolerance and democratic coexistence (cf. Forst 2003).

These limits must be constantly renegotiated on the basis of a common value of freedom and the protection of all. Associated conflicts and arguments are an indispensable part of tolerance and require discursive skills such as the ability to deal with conflict, empathy, a democratic culture of dispute and debate, as well as the ability to tolerate contradictions and disagreements. Here we speak of the so-called Widerspruchstoleranz („ambiguity tolerance“), which was first researched by Else Frenkel-Brunswik, and which should/can prevent us from expecting or demanding absolute unambiguity in moments of uncertainty. At the same time, whom we show tolerance and respect does matter. Inhumanity and extremism can become a threat to an open society. Therefore, negotiation space in our society is limited to democratic values. Misanthropic positions are not part of tolerance; rather, they must be resolutely opposed.

The exhibition ToleranzRäume takes up these multi-layered ideas and, following Bernd Simon and Rainer Forst, emphasises the great importance of respect (as a recognition of equality) in the exercise of tolerance. Based on the work of Forst, it uses the concept of Respekttoleranz („respect tolerance“) as a basis for understanding tolerance.

In this conception, democratic values such as justice, freedom and democracy become part of the approach to tolerance and respect. Thus, tolerance is not a value in itself, but a container term for various values and their constant negotiation. In concrete terms, Respekttoleranz means that equal persons or groups respect and recognise one another as equals, even when they do not agree on central issues, such as the proper way to conduct one’s life. It is not an authority or majority that determines what is tolerated and what is not, but common institutions (human rights, the Basic Law, the rule of law, separation of powers, etc.) that are based on norms that are generally accepted and justified. In this way, tolerance becomes both an active exercise and a passive experience. I can thus be both a recipient and an agent of tolerance. 

This notion of tolerance, in which many opinions are discussed and marginalised groups are included, is challenging. This is however also where the greatest potential for our coexistence lies: only if we constantly question our behaviour and reflect on individual and collective needs and boundaries can we steadily develop as a society and as individuals. On the other hand, there is a desire for simple solutions that include authoritarian forms of society, indifference, ignorance and superficial harmonisation. Simplification, however, does not provide solutions to the issues of a complex and diverse society that are compatible with our ideas of a free society and respect for human rights.

The exhibition Toleranzräume provides critical impulses on the topic of „tolerance“. It inspires people to stand up against discrimination in everyday life and encourages individual and social reflection with concrete examples. Visitors are invited to become aware of the limits of their own tolerance. This process is not always easy, but can be explored inclusively, openly and playfully and with the highest possible degree of accessiblity within Toleranzräume.

Sources:

Forst, Rainer (2003): Toleranz im Konflikt: Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs (Tolerance in Conflict: History, Content and Present of a Controversial Term); Vol. 1682: suhrkamp taschenbuch wissenschaft (Suhrkamp science pocketbook series); Suhrkamp – Berlin

Simon, Bernd (2018), quoted from Christian-Albrechts-Universität Kiel (2018): Kiel Research Centre on Tolerance opened at Kiel University. URL: https://www.uni-kiel.de/de/universitaet/detailansicht/news/kieler-forschungsstelle-toleranz-an-der-kieler-universitaet-eroeffnet/